Digitaler Sehstress
Viele setzen auf Blaulichtfilter gegen digitalen Sehstress – doch die grosse Analyse zeigt: Der Effekt ist minimal. Viel mehr bewirken einfache Strategien wie Pausen, passende Helligkeit und weniger Bildschirmzeit am Abend.

Immer wieder heisst es: Blaulicht vom Display sei gefährlich, ein Filter daher Pflicht. Der Haken: Die aktuell beste verfügbare Evidenz widerspricht vielen Versprechen. Die grosse Frage lautet darum: Bringen Blaulichtfilter-Brillen bei Bildschirmarbeit messbare Vorteile – oder nicht?
Cochrane-Review: Was genau untersucht wurde – und was (nicht) belegt ist
Der im August 2023 veröffentlichte Cochrane-Review bündelt 17 randomisierte kontrollierte Studien mit rund 600 Teilnehmenden aus mehreren Ländern. Verglichen wurden Brillen mit Blaulichtfilter gegenüber Gläsern ohne Filter. Im Fokus standen drei Bereiche: digitale Augenbelastung, Schlaf und Netzhautgesundheit.
Das Ergebnis fällt nüchtern aus: Kurzfristig – also innerhalb von Tagen bis wenigen Wochen – zeigen sich keine verlässlichen Vorteile für Beschwerden wie trockene, müde oder brennende Augen. Auch die Sehschärfe bleibt unverändert. Beim Schlaf sind die Resultate gemischt: einzelne kleine Studien berichten Verbesserungen, andere finden keinen Effekt; die Evidenz ist insgesamt unsicher.
Zum langfristigen Schutz der Netzhaut fehlen robuste Daten. Entscheidend ist zudem der Alltag: Wie hell ist der Arbeitsplatz? Wie lange und zu welcher Tageszeit schauen wir auf Bildschirme? Diese Faktoren beeinflussen Beschwerden oft stärker als ein Filter im Glas.
Einordnung aus der Praxis: Was sagen Fachleute – auch in der Schweiz?
Fachleute raten zu einem differenzierten Blick. Tagsüber ist Tageslicht wichtig für unser Wohlbefinden und die innere Uhr; ein starker Blaulichtblocker kann hier sogar kontraproduktiv sein, wenn Farben verfälscht und Kontraste reduziert werden. Abends hingegen – wenn keine Nacht- oder Warmton-Einstellungen genutzt werden – kann eine Reduktion blauer Lichtanteile den Schlafbeginn erleichtern.
Auch Schweizer Expertinnen und Experten betonen: Gesundheitsversprechen zu Blaulichtfiltern sind derzeit nicht hinreichend belegt. Entscheidend ist die Gesamtsituation: Bildschirmgewohnheiten, Beleuchtung, Sitzposition, Tränenfilm – und ob zusätzlich eine unkorrigierte Fehlsichtigkeit vorliegt, die den Augenstress verstärkt. Genau hier kann eine fachkundige Überprüfung durch den Optiker ansetzen.
Für wen Blaulichtfilter sinnvoll sein können – und wo Erwartungen zu hoch sind
Blaulichtfilter-Brillen sind kein Allheilmittel. Sie können aber individuell hilfreich sein, etwa bei Lichtempfindlichkeit oder störender Blendung, wenn die leichte Tönung subjektiv angenehmer wirkt. Wer abends häufig unter kaltem, hellem Kunstlicht oder vor mehreren Displays sitzt, kann mit Filtergläsern oder konsequent aktiviertem Nachtmodus entlasten.
Weniger realistisch sind grosse Effekte bei normaler Bildschirmarbeit am Tag in gut beleuchteter Umgebung. Hier bringt ein Filter allein meist keinen messbaren Mehrwert. Auch ein Netzhautschutz im Alltag ist bisher nicht nachgewiesen. Und beim Schlaf gilt: Ohne Anpassungen der Gewohnheiten – etwa weniger Screen-Zeit vor dem Zubettgehen – bleiben Effekte begrenzt.
Mögliche Nebenwirkungen sind selten, aber möglich: eine als «gelblich» empfundene Farbdarstellung, leicht veränderte Farbwahrnehmung oder Kopfschmerzen bei zu starker Tönung oder ungünstigem Sitz. Das lässt sich in der Regel über richtige Glaswahl und passende Fassung lösen.
Praktische Tipps gegen digitale Augenbelastung – sofort umsetzbar
Die wirksamsten Hebel liegen oft nicht im Filter, sondern im Alltag. Erste Priorität: Sehfehler korrigieren (aktualisierter Brillenpass), ergonomische Arbeitsplatz-Einstellung und regelmässige Pausen. Bewährt hat sich die 20-20-20-Regel: alle 20 Minuten für etwa 20 Sekunden in 6 Metern (20 Fuss) Entfernung schauen – das entspannt den Fokus.
Zweitens: Helligkeit und Kontrast am Display an die Umgebung anpassen, Spiegelungen vermeiden, die Raumbeleuchtung optimieren. Drittens: Abends Warmton- oder Nachtmodus aktivieren und, wenn möglich, die Bildschirmzeit vor dem Schlafen reduzieren. Wer zusätzlich mit trockenen Augen kämpft, profitiert häufig von konservierungsmittelfreien Benetzungstropfen und einer kurzen Lidschlag-Routine.
- Regelmässige Pausen nach der 20-20-20 Regel: alle 20 Minuten etwa 20 Sekunden auf etwas in der Ferne schauen.
- Arbeitsplatz optimal einrichten: Bildschirmhöhe, Abstand und Beleuchtung beachten.
- Nachtmodus oder Blaulichtreduzierung über Geräte einstellen, wenn möglich.